Yvonne Martins,
Head Of Legal Germany

LEGAL TECH: NUTZEN FÜR ALLE BRANCHEN

Digitalisierte Gerichtsverfahren, spezifische Software für die Abwicklung von Unternehmenskäufen, vollautomatische Quellenrecherche – auch vor dem Rechtsbereich macht die Digitalisierung nicht Halt. Die Entwicklungen bringen auch für andere Branchen einen Nutzen, zumal rechtliche Aspekte in jeder Branche eine Rolle spielen. Sie werfen aber zum Teil heikle Fragen auf: Fragen nach der Zulässigkeit rein maschineller Entscheidungen oder Fragen nach der Zukunft des Berufsbildes von Anwälten und Notaren. Die Herausforderungen gleichen in vielen Punkten den Herausforderungen, die mit der Digitalisierung der Gesundheit einhergehen.

Legal Tech macht Big Data überschaubar

Der Anspruch von Legal Tech gleicht dem Anspruch der Digitalisierung in anderen Bereichen: Mithilfe von Technologien sollen die wachsenden Datenmengen bewältigt und repetitive Abläufe erleichtert beziehungsweise automatisiert werden. Denn auch die Rechtsbranche ist zunehmend mit dem Thema Big Data konfrontiert. Juristen können die durch Digitalisierung und Globalisierung rasant steigende Datenmenge mit traditioneller Recherche nicht mehr bewältigen, geschweige denn qualitätsvoll analysieren. Rechtsanwälte müssen für internationale Transaktionen eine Unzahl an Dokumenten – Verträge, Rechtsordnungen, Literatur – durchforsten. Ähnlich geht es Richtern, Staatsanwälten, Prozessparteien und Sachverständigen in großen, komplexen Gerichtsverfahren. Im medizinischen Bereich ist diese Problematik im Umgang mit Big Data aufgrund des exponentiellen Datenwachstums nur allzu gut bekannt. Die Digitalisierung verspricht Effizienz, einen Zeit- und Kostenvorteil und darüber hinaus einen unbezahlbaren Wissensvorsprung.

Juristische Arbeit unter Kostendruck

Experten sind sich einig, dass Legal Tech in Zukunft nicht wegzudenken ist. Es wird nicht nur in großen, internationalen Sozietäten, sondern auch für Einzelkämpfer und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen ein unverzichtbares Tool darstellen. Denn der Druck seitens der Mandanten beziehungsweise Kunden wächst: Die Erwartungen an eine lückenlose Recherche in abschätzbarer Zeit und zu abschätzbaren Kosten kann der Mensch alleine nicht mehr erfüllen. Legal Tech erleichtert die Sichtung und Analyse juristischer Schriftstücke sowie die Automatisierung von Prozessen. Die Anwendungen reichen von einfachem Dokumentenmanagement mithilfe von Stichwortsuche und Kategorisierung über den Einsatz von künstlicher Intelligenz bis zu hochentwickelten Formen wie Early Case Assessment Tools. Neben Lösungen „von der Stange“ entwickeln Softwareunternehmen und Kanzleien mandantenspezifische Tools, die in komplexen Prozessen die juristische Arbeit unterstützen sollen.

Digitalisierungsoffensive in der Justiz

Auch der öffentliche Bereich hat den Nutzen von Legal Tech erkannt. Österreich ist diesbezüglich im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Die Initiative „Justiz 3.0“ verfolgt seit 2013 die schrittweise Digitalisierung der Aktenführung an den heimischen Gerichten. Statt dem Papierakt soll es in Zukunft nur mehr elektronische Akten geben. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht darüber hinaus weitere Maßnahmen zur Digitalisierung der Justiz vor: eine digitale Plattform zur Akteneinsicht, Verfahrensstand, Verhandlungsterminen und Edikten, den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Sichtung von Beweismitteln und bei der Erarbeitung von Entscheidungsvorschlägen. Bei diesem letzten Punkt wird klargestellt, dass richterliche Entscheidungen von künstlicher Intelligenz lediglich unterstützt, nicht aber ersetzt werden dürfen. An dieser Schnittstelle zwischen Technologie und Mensch stellen sich ethische und moralische Fragen, die sich parallel auch in der digitalisierten Medizin stellen. Unbestritten gehört deren Abklärung sowohl im Rechts- als auch im Gesundheitsbereich zu den essentiellen Herausforderungen der Digitalisierung.

KI wird Menschen nicht ersetzen

Wie in der Gesundheit der Arzt werden im Rechtsbereich auch der Anwalt und Notar durch die voranschreitende Digitalisierung in Frage gestellt. Und auch hier lautet der Tenor ähnlich wie im Gesundheitssektor: Legal Tech wird den Menschen nicht ersetzen. Die Berufsbilder werden sich aber in beiden Bereichen einschneidend verändern. Der Umgang mit den Technologien wird zu einer unverzichtbaren Kompetenz. Dabei ist die Frage nach der Tiefe des erforderlichen technischen Wissens noch nicht eindeutig beantwortet. Dass Anwälte und Mediziner der Zukunft auch IT-Experten sein müssen, ist wohl nicht anzunehmen. Jedenfalls werden sich diese Berufe aber neu aufstellen müssen. Zu den Gewinnern werden diejenigen zählen, die die Chancen der Digitalisierung ergreifen, effizienter werden, sich mit ihrer Kernkompetenz hervorheben können und neue Geschäftsfelder erschließen.